Unternehmenswerte Genauso wichtig wie die Bezahlung bei der Einstellung und langfristigen Bindung von Mitarbeitern

Catherine F. Simon, Head of Global HR and Culture.
Die führenden IT-Unternehmen geben sich heutzutage sehr viel Mühe, neue Mitarbeiter zu gewinnen. Hohe Gehälter, besonders viele Urlaubstage, attraktive Empfehlungsprogramme, ortsunabhängige Telearbeit, coole Büros, flexible Arbeitsverträge - alles, um die besten Leute zu bekommen.
Zumindest fast alles.
Es kündigen immer noch viele Mitarbeiter.
Und das liegt nicht nur an der Bezahlung: Desinteressierte Führungskräfte, ein Mangel an sinnvollen Aufgaben sowie fehlende Karrieremöglichkeiten gehören ebenso zu den häufigsten Gründen, warum Mitarbeiter im vergangenen Jahr ihren Job kündigten. Während die meisten Unternehmen Vielfalt, soziale Verantwortung und berufliche Weiterentwicklung predigen, deuten die rekordverdächtig hohen Fluktuationsraten darauf hin, dass nur wenige Unternehmen diese Werte in die Tat umsetzen.
Um gute Mitarbeiter anzuziehen und langfristig zu binden, brauchen Unternehmen heute noch mehr als zuvor Werte sowie eine starke Kultur, mit der sich die Mitarbeiter identifizieren können, sodass sie das Gefühl haben, dass ihre Arbeit einen echten Sinn ergibt.
Das ist nichts Neues
Das können wir mit der Zwei-Faktoren-Theorie von Herzberg erklären. Vor einem halben Jahrhundert traf Herzberg eine wichtige Unterscheidung zwischen Zufriedenheit und Unzufriedenheit am Arbeitsplatz, nachdem er festgestellt hatte, dass beide durch eine Reihe unterschiedlicher Faktoren bestimmt werden:
- Unzufriedenheit am Arbeitsplatz wird durch die Verbesserung von sog. “Hygienefaktoren” wie Gehalt, Mitarbeiterbenefits, Arbeitsplatzsicherheit und Urlaub verringert.
- Zufriedenheit am Arbeitsplatz wird durch die Verbesserung der “Motivatoren”, wie z. B. anspruchsvolle Aufgaben, Anerkennung, Verantwortung und sinnvolle Tätigkeiten, erhöht.
Mit Blick auf ein modernes Arbeitsumfeld, in dem Hygienefaktoren besonders viel Beachtung bekommen, sind die Motivatoren für die Einstellung und langfristige Bindung von Mitarbeitern dementsprechend besonders wichtig.
Aus diesem Grund legt Netflix seine Grundprinzipien in dem bekannten Netflix-Kultur-Dokument ausführlich dar. Aus diesem Grund teilt Google echte Geschichten und Beispiele, wie das Unternehmen die geförderten Werte aufrechterhält. Und aus diesem Grund untermauert Scaleway die eigenen sozialen und ökologischen Verpflichtungen mit Maßnahmen und Fortschrittsberichten.
Auf der anderen Seite haben es IT-Unternehmen, die bei der Anwerbung neuer Mitarbeiter bisher nur auf ein überdurchschnittlich hohes Gehalt gesetzt haben, jetzt schwer, überhaupt genug Bewerbungen für Ihre offenen Stellen zu bekommen, da ihre auf Hygienefaktoren ausgerichtete Strategie ihren Höhepunkt erreicht hat und sie nicht viel mehr zu bieten haben.
Das Problem dieser Unternehmen ist, dass man nicht einfach eine Unternehmenskultur aus dem Boden stampfen kann, wenn es eigentlich keine gibt. Zudem kann man Ziele auch nicht einfach aus dem Nichts schaffen oder Mitarbeiter davon überzeugen, an Werte zu glauben, die man sich gerade erst ausgedacht hat.
Motivatoren zu verbessern ist ein langer und aufwändiger Prozess, der deutlichen emotionalen sowie finanziellen Einsatz erfordert - zumindest wenn man es richtig angehen möchte und anschließend auch die Vorteile daraus ziehen möchte. Zudem ist es entscheidend, Fortschritte und Erfolge transparent zu kommunizieren, damit sie sich positiv auf den Einstellungsprozess auswirken.
Taten sind besser als Worte
Potenzielle Bewerber von heute durchschauen nichtssagende Floskeln, daher müssen Sie Aussagen zu Ihren Werten unbedingt mit konkreten Taten untermauern, um maximale Transparenz zu gewährleisten:
- Vielfalt und Inklusion? Stellen Sie Ihre Bemühungen unter Beweis und berücksichtigen Sie diese Werte bei der Einstellung. Etablieren Sie sie als zentrale Werte, die bei jeder Entscheidungsfindung im Unternehmen eine Rolle spielen. Lassen Sie Ihren Worten Taten folgen.
- Nachhaltigkeit? Gibt es dafür einen Verantwortlichen? Ein Budget? Einen Plan? Zeigen Sie genau, was Sie tun und welche Ergebnisse Sie erzielen, um die Umweltbelastungen Ihres Unternehmens zu verringern.
- Flexibilität? Welche Regelungen und Vorschriften gibt es dafür? Wie oft werden diese auf Aktualität überprüft?
- Vertrauenskultur? Wie schaffen Sie diese Kultur? Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen und wie setzen Sie sich intern ein, um Vertrauen jederzeit zu gewährleisten? Vertrauen braucht Zeit, um aufgebaut zu werden und erhalten zu bleiben.
- Soziale Verantwortung? Zeigen Sie, inwiefern Ihr Unternehmen positive Auswirkungen auf unsere Gesellschaft hat.
Die erfolgreichsten IT-Unternehmen, zu denen auch die oben genannten Beispiele gehören, erfüllen all diese Anforderungen und zeigen damit immer wieder, dass sie für ihre Ziele einstehen und nicht nur gegenüber ihren Mitarbeitern, sondern auch gegenüber der Gesellschaft Verantwortung übernehmen.
Das geht soweit, dass Abweichungen von diesen Werten internationales Aufsehen erregen können. So wurde Salesforce nach der öffentlichen Kündigung einer hochrangigen Mitarbeiterin wegen mangelhafter Bemühungen im Bereich Antirassismus kritisiert, und das, obwohl sich das Unternehmen in diesen Fragen als Vorreiter positioniert (und dafür bereits Anerkennung erhalten hat).
Trotz der negativen Schlagzeilen signalisieren solche Skandale aber auch, dass die Bemühungen, die erklärten Werte zu verkörpern, fortgesetzt werden - sowie ein sehr realer Bestandteil des Lebens im Unternehmen sind - und bringen die Erfolge des Unternehmens ebenso ans Licht wie seine Missstände.
Die Suche nach neuen Mitarbeitern ist kein Hexenwerk
Was neue Mitarbeiter wirklich anzieht und auch langfristig bindet, ist ein herausforderndes und bedeutungsvolles Arbeitsumfeld, das persönliche Weiterentwicklung und einen echten Sinn bietet.
Die folgenden vier Tipps helfen Unternehmen dabei, dies in die Tat umzusetzen:
1. Investitionen in die Unternehmenskultur statt in Employer Branding und Stellenausschreibungen
Ein Viertel bis die Hälfte der Neueinstellungen kann und sollte durch Empfehlungen zustande kommen, da neue Mitarbeiter, die von Kollegen empfohlen wurden, im Durchschnitt 70 Prozent länger bleiben als direkt eingestellte neue Mitarbeiter. Deswegen motivieren Sie Ihre Mitarbeiter dazu, Ihr Unternehmen an Bekannte weiterzuempfehlen und stellen Sie dementsprechend mindestens die Hälfte des Einstellungsbudgets dafür bereit. Wenn sich Ihre Mitarbeiter auf der Arbeit entfalten können, gefordert werden und auf ihre Leistungen stolz sein können, werden sie dies nicht geheim halten.
2. Gründe bieten, um zu bleiben und trotzdem freundschaftlich auseinandergehen
Investieren Sie in Ihre Mitarbeiter, in ihre Arbeitsumgebung und ebenso in die Dinge, die ihnen wichtig sind. Entwerfen Sie eine mögliche berufliche Laufbahn für jede Position, dann werden die Mitarbeiter auch am Ball bleiben.
Aber keine Sorge, wenn sie es nicht tun. Eine gesunde Fluktuation und eine Betriebszugehörigkeit von etwa 3 Jahren sind eine gute Voraussetzung, um das Beste aus einer beruflichen Beziehung herauszuholen. Neue Mitarbeiter bringen auch neue Energie und Erfahrung in das Team ein und bereichern die Kultur für künftiges Wachstum.
3. Anforderungen an Bewerber - Schlüsselkompetenzen anstelle von Formalitäten
Stellen Sie ein Drittel Ihrer Mitarbeiter nach Anforderungen wie Engagement, Motivation, Wissen und Schlüsselkompetenzen und nicht nur nach Anforderungen wie langer Berufserfahrung oder relevantem Abschluss ein. Überprüfen Sie zudem kontinuierlich Ihre Anforderungen, sodass Sie herausragende Bewerber nicht aufgrund von Kleinigkeiten und Formalitäten ablehnen müssen. Intelligente Menschen mit einer wachstumsorientierten Einstellung können nämlich unbegrenzt viel lernen.
4. Stetige Verbesserung des Arbeitsumfelds
Das Wohlbefinden eines Unternehmens ist vergleichbar mit der menschlichen Gesundheit - es erfordert Kontrolluntersuchungen, Beobachtung, regelmäßige Bewegung und so weiter. Radikaldiäten führen später nur zu einer erneuten Gewichtszunahme, das Gleiche gilt für ein Unternehmen. Man muss sich den richtigen Grundsätzen verschreiben und ständig an ihnen arbeiten, damit sie Bestand haben.
Wenn Sie diese vier Tipps umsetzen, werden die Bewerber schon kommen. Alles, was Mitarbeiter wollen, sind herausfordernde und sinnvolle Aufgaben sowie Anerkennung, um motiviert zu sein und das Beste aus sich herauszuholen.
Nicht nur die Bezahlung ist wichtig
Nichts von dem oben stehenden bedeutet, dass das Gehalt keine Rolle spielt. Auch die motiviertesten Mitarbeiter Ihres Teams werden das Unternehmen verlassen, wenn sie mit der Bezahlung und/oder den Mitarbeiterbenefits unzufrieden sind. Da die Bezahlung im IT-Sektor jedoch zunehmend vereinheitlicht wird, werden sich potenzielle Bewerber eher für Unternehmen entscheiden, die mehr als nur Geld zu bieten haben.
Ob diese Unternehmen in der Lage sein werden, ihre Mitarbeiter langfristig zu halten, ist eine andere Frage. Wenn Sie sie unter falschem Vorwand angelockt haben - dann nicht. Wenn sie jedoch eine echte Übereinstimmung mit den Werten des jeweiligen Mitarbeiters zeigen und praktizieren, dann auf jeden Fall.